Werla: Die Königspfalz
Für das Jahr 924 oder 926 – das genaue Jahr lässt sich nicht mehr ermitteln – überliefert der Chronist Widukind von Corvey den Aufenthalt von König Heinrich I auf seiner Burg Werla, die damit zum ersten Mal erwähnt wird: „Rex autem erat in praesidio urbis quae dicitur Werla“. Die Werla war offenbar ein zentraler Ort, von dem aus Heinrich seine zunächst verzweifelt anmutenden Versuche zur Verteidigung Sachsens gegen die aus Osten angreifenden Ungarn koordinierte.
Was haben ungarische Reiterkrieger an der Oker zu suchen? Das sich seit dem 7. Jh. in den Tiefebenen an der mittleren Donau formierende ungarische Reich entwickelte mit seinen leicht bewaffneten berittenen Kriegern eine enorme Dynamik. Donauaufwärts trafen sie im späten 9. Jh. auf die Bayern, die sich ihrer Gegner kaum zu erwehren wussten. Schließlich konnte der Bayern-Herzog Arnulf der Böse einen Nichtangriffspakt mit den Ungarn erreichen, gegen die Zahlung hoher Tribute.
In der Mitte des 10. Jh. bauten Heinrich I. und wohl auch sein Sohn Otto I. die Werla zu einem zentralen Platz königlicher Herrschaft im Norden Deutschlands aus. Die Werla war nicht nur eine der größten Befestigungen des 10. Jh., sondern mit ihren steinernen Befestigungen und Gebäuden auch die bedeutendste nicht sakrale Anlage ihrer Zeit in dieser Region. Nirgendwo dokumentiert sich der Herrschaftsanspruch der frühen ottonischen Könige so deutlich wie hier. Die palastartigen Gebäude der Werla mit der avantgardistischsten Heizluftheizung seit dem Ende der Antike nördlich der Alpen signalisierten Selbstgefühl und Macht der Ottonen nachdrücklich.
Die Werla war im 10. Jh. aber nicht nur ein Ort königlicher Repräsentation, sondern auch ein Produktionsplatz erster Güte. Archäologisch sind vor allem Textilverarbeitung und Metallverarbeitung nachgewiesen worden. Vielleicht wurden die Schwerter, mit denen die Ottonen ihre Krieger zum Kampf gegen die Sarazenen in Süditalien ausstatteten, zum Teil auf der Werla geschmiedet.
Nach dem Jahr 1000 wurde es stiller auf der Werla. Die neu gegründete Pfalz Goslar bot mehr Annehmlichkeiten und war mit ihrer an antiken Vorbildern orientierten Architektur auch besser geeignet, das Repräsentationsbedürfnis der Könige der nachfolgenden salischen Dynastie zu erfüllen. Die Werla geriet langsam ins Abseits der Geschichte. 1180 wurde sie zum letzten Mal Schauplatz europäischer Geschichte, als Kaiser Friedrich I. Barbarossa hier den Prozess gegen Heinrich den Löwen abschloss. Kurz danach wurde die Werla aufgegeben, deren Befestigungen und Gebäude jahrzehntelang zum billigen Steinbruch der Umgebung wurden. Im späten Mittelalter war bereits das Wissen um die Stelle der alten Königspfalz verloren gegangen.